Plötzliche Online-Lehre ohne Prüfungsfreiversuche: an der Realität vorbei gedacht

Plötzliche Online-Lehre ohne Prüfungsfreiversuche: an der Realität vorbei gedacht

Zur Entscheidung der Landesregierung, aufgrund der Pandemie und dem damit erforderlich gewordenen Wechsel vom Präsenz- in den Online-Betrieb zwar ein weiteres Freisemester zu berücksichtigen, jedoch anders als zuvor keine weiträumige Freiversuchsregelung für Prüfungen zuzulassen, erklärt Mark Böing, Vorsitzender der Hochschulgruppe Südschleswig an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und nicht zuletzt für die Ratsfraktion des SSW in Kiel Mitglied im Ortsbeirat der Kieler Wik:

Es ist schon sehr irritierend. Da bedarf es erst einer globalen Pandemie, um den Lehrbetrieb an der CAU aus der digitalen Nachtruhe zu holen. Doch kaum sind die ersten Schritte in der Online-Lehre getan, da droht man auch schon wieder den Anschluss an die Realität zu verlieren. Wer kurz so der Prüfungsphase schlagartig vom Präsenz- in den Online-Betrieb umschaltet, dann aber meint auf Freiversuche bei den Prüfungen verzichten zu können, hat etwas ganz Wichtiges verschlafen: dass nämlich Prüfungen nicht von Zoom-Accounts, sondern von Studierenden abgelegt werden. Und deren Situation hat man bei der Entscheidung, in der kommenden Prüfungsphase Freiversuche nur in sehr begrenztem Umfang zuzulassen, offensichtlich außer acht gelassen.

Fakt ist, dass schon aus den vergangenen Online-Phasen bekannt sein sollte, wie löchrig die Versorgung mit stabilen Internetverbindungen auf Studierendenseite ist. An vielen Stellen müssen sich zahlreiche Studierende einen herkömmlichen Internetzugang teilen, um sich überhaupt einen solchen Anschluss leisten zu können. Das führt schnell zu Kapazitätsproblemen, die für Prüfungen nicht hinnehmbar sind. Und kommt es zu Problemen, dann sind womöglich die Studierenden in der Pflicht, wo doch eigentlich die Universitäten verpflichtet sind, den ordnungsgemäßen Ablauf von Prüfungen zu garantieren.

Viele Studierende leiden durch die Umstellung auf den Online-Betrieb an ihrer Hochschule unter sozialer Isolation. Daraus entstehen schnell nicht nur gesundheitliche Probleme. Auch lebt Studieren vom Austausch. Die für das Lernen so wichtige Auseinandersetzung der Studierenden untereinander über den Stoff aus Vorlesungen, Seminaren und Praxiseinheiten kommt im Online-Betrieb fast vollständig zum Erliegen. Was sonst auf Fluren, in der Mensa oder sonstwo besprochen wird, verschwindet pandemiebedingt komplett. Nicht einmal eine digitale Mensa gibt es. Wie Studieren funktioniert, hat man im Kieler Wissenschaftsministerium wohl schon vergessen.

Man darf dabei nicht vergessen: Existenzängste beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit massiv. Das gilt schon während der Vorlesungszeit und insbesondere in der Prüfungsphase. Ohne Freiversuche geht dort eine weitere Ebene an Sicherheit verloren. Wer sein Studium ganz oder teilweise durch Arbeit finanzieren muss, wird doppelt bestraft.

Wir fordern Bildungs- und Wissenschaftsministerin Karin Prien daher auf, sofort eine umfassende Freiversuchsregelung einzuführen. Auch wenn es gerade so aussieht, als könnte die Pandemie vielleicht bald ein Ende haben, gibt es angesichts einer Inzidenz von über 1000 allein in Kiel keinen Grund gerade darauf zu wetten und damit womöglich die Zukunft von Studierenden zu gefährden. Die Freiversuchsregelung wird optimalerweise von einem Zuschuss für schnelle Internetanschlüsse dort, wo sie aus eigenen Mitteln nicht gestemmt werden können, begleitet. Außerdem fordern wir die Ministerin und das Studierendenwerk auf, endlich Konsequenz zu zeigen und nach der digitalen Lehre auch einen digitalen Universitätsbetrieb zu schaffen. Damit nicht nur die Präsentation von Wissen, sondern auch der Austausch darüber im Digitalen funktioniert.

sekretær

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